Ins Zentrum rücken

In der Mitte des Geschehens, da findet Leben statt. So meint man zumindest. Andere sehen das viel gelassener: sie betrachten die Szene in der Mitte von der Peripherie aus – und fühlen sich erst noch privilegiert. An den Rändern draussen ist man weniger fixiert, die Mitte zu halten, insofern also unverkrampfter. Oder man schaut unverhohlen in die Mitte und meint, dass dort der Heilige Gral zu finden sei. Man oszilliert zwischen Neid und Ohnmacht.

Wer in seiner Beziehung die Mitte halten möchte, befindet sich – Schreck lass’ nach – im Auge eines Sturmgebildes. Dort ist es eigentlich immer begünstigend ruhig. Die Wellen einer klimatischen Verstimmung verbreiten sich tosend nach aussen. Um das Gleichnis zu vervollständigen: zwischen Innen und Aussen finden tektonische Verschiebungen statt, man verkrampft mitunter und sucht nach dem rettenden Ufer.

Kann es sein, dass in der Mitte einer harmonischen Beziehung sämtliche Fragen untereinander geklärt sind? Dass kein verärgerter Zwischenruf die harmonische Bezogenheit zueinander ein Paar auseinander treibt? Sind entspannte Verhaltensweisen von zwei Personen, die sich gegenseitig an die Seele gelassen haben, langweilig?

Ja, falls Abenteurer meinen, sie hätten zu wenig Aktionismus intus. Nein, falls Verliebte entweder der Illusion verfallen sind, alles sei paletti, weil nichts zwischen ihnen stünde, oder waschechte Langweiler, die nichts so scheuen wie eine disharmonisch anmutende Auseinandersetzung.

Kommen wir retour zum eingangs erwähnten Rücken ins Zentrum. Nehmen wir mal an, Sie befänden sich an einem Volksfest, z.B. an der Basler Fasnacht. Die Menge an Wegelagern mit oder ohne Larven ist unübersehbar, doch niemand drängelt, entweder weil ohnehin kein Freiraum vorhanden ist oder weil gesittete Zivilisten sich im Kollektiv entschieden haben, das Getümmel auszuhalten. Wetten, dass selbst einem Klaustrophoben unter diesen idealtypischen Bedingungen – es handelt sich selbstverständlich bloss um eine statistisch nicht ins Gewicht fallende Annahme – ein Weiterverbleiben im eng bestückten Zentrum zugemutet werden könnte?

Wäre es denkbar, dass in einer wie auch immer gearteten Zweisamkeit im Zentrum der sich überschneidenden Interessen und Wohlgefühle einfach Ruhe herrschte, weil man Unterschiede auszuhalten in der Lage ist? Genauso wenig, wie im fasnächtlichen Trubel jeder mit jedem ein Bier trinken würde, so wenig ist anzunehmen, dass Beziehungspartner stets in Festlaune sind, die ihnen das Wegsehen von den ach so lieb gewordenen „Fehlern“ des anderen erlaubte.

Vielleicht gehört es zur Beziehungsfrage par excellence, sich im Klaren darüber zu werden, dass wir nicht zwingend faule Kompromisse mit unserer Herzliebe eingehen müssen, um Ruhe in den Stall zu bekommen. Vielleicht sind wir einfach in der Lage zu akzeptieren, dass es sakrale Momente gibt, während denen man sich nicht auseinanderzusetzen braucht, schlicht und einfach, weil die Differenz nicht relevanter ist als der Kitt, welcher zusammenhält.

Zu jeder Beziehungsfrage gehört gelegentlich auch zumindest der Ansatz einer Antwort. Was hiermit geschehen ist!

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